Der neue Weg SYRIZA’s

Seit der Ankündigung von vorgezogenen Präsidentschaftswahlen und spätestens seit dem Scheitern auch der dritten Wahlrunde des Präsidenten und den damit folgenden Neuwahlen, entfernt sich Alexis Tsipras immer weiter von ehemals radikalen Positionen. Damit nehmen auch die parteiinternen Streitereien zu. Die vor der letzten Wahl noch als unantastbare radikale Positionen geltenden Ideale werden nun zu Hauf über Bord geschmissen, was dem schrumpfenden radikalen Lager innerhalb des Bündnisses sauer aufstößt. Doch Tsipras lässt sich davon nicht beirren. Im Gegenteil. Nach mehreren ehemaligen PASOK-FunktionärInnen (zum Beispiel die ehemalige Vize-Innenministerin Theodora Tsakri) holt er mittlerweile auch noch wesentlich weiter rechts stehende PolitikerInnen in sein Boot. So lief Rachil Makri, eigentlich Kandidatin für die rechtskonservative, EU-kritische Partei der unabhängigen Griechen (eine Abspaltung der noch vor Kurzem regierenden Nea Demokratia) zu SYRIZA über.

Außerdem geht Tsipras mittlerweile auch auf Stimmenfang im klerikalen Lager. Nach Jahren des strikten, öffentlich ausgesprochentsiprasen Atheismus (in einem Land mit über 98 Prozent Gläubigen und in dem Säkularismus ein Fremdwort ist eine radikale Position) scheint der Führer des Linskbündnisses, aus wohl eher populistischen als persönlichen Gründen, plötzlich doch noch zu Gott zu finden. Nachdem er sich bereits vor mehreren Monaten mit Priestern und Mönchen in der autonomen Region Berg Arthos getroffen und verbrüdert hat, ließ er nun am 6. Jänner, dem Tag des Epiphanienfestes, als Zeichen seines aufkeimenden Spiritualismus eine weiße Taube gen Himmel steigen. SYRIZA rückt damit immer weiter in Richtung des bürgerlichen Lagers, weg von radikalen Positionen und Parolen gegen Sparmaßnahmen und Bevormundung durch Europa, hin zur gemäßigten Sozialdemokratie – der Platz dafür ist schließlich frei, seit dem die sozialdemokratische Partei PASOK kontinuierlich bei etwas mehr als vier Prozent herum schwimmt.

Die Strategie von Parteiführer Alexis Tsipras scheint klar: Weniger radikale Positionen, dafür mehr Stimmen aus dem bürgerlichen Lager. Denn eben das bürgerliche Lager wird die Wahl entscheiden.

Doch kommt dadurch erstmals eine weitere Komponente mit ins Spiel. Denn mit der Entradikalisierung von SYRIZA könnte die außerparlamentarische Linke genügend Stimmen ergattern, um Parlamentsabgeordnete zu stellen. Das radikale linke Bündnis ANTARSYA-MARS („Antikapitalistische Linke Zusammenarbeit für den Umsturz – Frontale Linke Kooperation“ oder auch „Aufstand – Marsch“) gewann zuletzt in den Umfragen an Stimmen und könnte damit für einige Furore und die Schwächung von SYRIZA sorgen.

Vermutlich wird die Strategie von SYRIZA aufgehen und sie werden als Sieger in dieser Wahl hervorgehen. Doch gleichzeitig wird damit nicht nur ein Rechtsruck innerhalb der Partei vollzogen, sondern auch die rechtsaußen Parteien gestärkt. Denn jene WählerInnen, die aus Protest gegen Nea Demokratia und Pasok ihre Stimme an SYRIZA abgeben wollten, könnten vom neuen Kurs der Partei enttäuscht sein und sich extremeren Positionen zuwenden. Und wenden sie sich nicht nach links, dann gibt es rechts genügend Auswahl. Und das könnte wiederum das Rennen zwischen den gleichauf liegenden Parteien Der Fluss (pro-europäisch) und der faschistischen Goldenen Morstatistikgenröte um Platz drei entscheiden.

Die Töne auf beiden Seiten werden jedenfalls von Tag zu Tag schärfer und nehmen teilweise skurrile Formen an. So hat ein Spitzenfunktionär der Partei der unabhängigen Griechen vor wenigen Tagen dazu aufgerufen, die Alten am Wahltag zu Hause ein zu sperren. Dies stellt nur eine von vielen Skurrilitäten dieser Parlamentswahl dar. Eine weitere ist auch, dass knapp 100.000 junge GriechInnen, auf Grund eines bürokratischen Demokratiedeffizites nicht zur Wahl zugelassen sind.

Am skurrilsten, und die Dialektik dieser Wahl offen legend, ist aber die Tatsache, dass für eine (noch nicht endgültig verurteilte) terroristische Vereinigung gewählt werden kann. Mehr als die Hälfte der Parteifunktionäre der  sitzen hinter Gittern, und doch wollen bis zu sieben Prozent der Griechen ihre Stimme den Neo-Nazis geben. Dies sollte Europa wirklich erschrecken.

Kann es einen Ausweg aus der politischen Krise in Griechenland geben?

Nachdem Premierminister Samaras mit seiner strategischen Härteprobe gescheitert ist, wird nun also am 25. Jänner das griechische Parlament neu gewählt. Anders als gedacht, schaffte Samaras es nicht, genügend Oppositionelle hinter seinem Präsidentschaftskandidaten zu vereinen und errang in keiner der drei Wahlrunden die benötigte Stimmenanzahl. Die vorgezogenen Präsidentschaftswahlen waren wohl der letzte Versuch, sich als regierende Partei gegen das immer stärker werdende Links-Bündnis SYRIZA zu behaupten und der populistischen Volksrhetorik von Parteiführer Alexis Tsipras zu trotzen. Glaubt man den zahlreichen Umfragen, die in den letzten Tagen wie Schwammerl aus dem Boden schießen, wird SYRIZA die Wahl gewinnen. Jedoch ist SYRIZAs Vorsprung bereits gesunken und der Abstand zur Regierungspartei Nea Demokratia beträgt nur mehr knapp drei bis vier Prozent – ein Prozentsatz, der in Griechenland schnell die Seiten wechseln kann. Und doch ist es genau umgekehrt, als bei den letzten Parlamentswahlen 2012, als Nea Demokratia eben diese drei bis vier Prozent vor SYRIZA lag und über die tatsächliche Wahlrunde halten konnte.

Aber was würde ein Sieg der populistischen Linken in Griechenland eigentlich genau bedeuten? Sicher nichts Gutes. Wenn man sich die Rhetorik von Tsipras und Co genauer anhört und einen Blick auf ihr Programm wirft, wird schnell klar, dass SYRIZA entweder einen skrupellosen Kurs zurück zum aufgeblasenen Beamtenapparat und korrupter Freunderlwirtschaft der letzten Jahrzehnte verfolgt, oder von Wirtschaftspolitik ganz einfach keine Ahnung, beziehungsweise eine verkappt-nationalistische Vorstellung hat. Bei einem Sieg von SYRIZA gibt es im Prinzip zwei Szenarien mit unterschiedlichen, darauf folgenden Entwicklungen, die möglich sind. Das realistischere von beiden ist, dass alles beim Alten bleiben wird, da SYRIZA ihre Wahlversprechen nicht halten werden kann und schlussendlich einem Kompromiss mit Memorandum?? und Kreditgebern zustimmen wird müssen. Dies würde vermutlich nicht nur zu erneuten baldigen Wahlen führen, sondern auch zu einem starken Rechtsruck innerhalb der emotionalen Wählerschaft. Die wütenden Griechen, die dieses Mal aus Protest gegen das Memorandum und die Sparpolitik und aus europafeindlichen Gedanken heraus für SYRIZA stimmen, könnten ebenso schnell zu Wählern der faschistischen Goldenen Morgenröte werden. Was bei weiteren (Neu-)Wahlen zu einer Katastrophe führen könnte.

Das zweite Szenario ist das weniger realistische, aber deshalb nicht weniger gefährliche. Schafft es Tsipras, auch nur Teile seines (Wirtschafts-)Programms tatsächlich in die Tat umzusetzen, könnte das der wirtschaftliche Todesstoß für Griechenland sein. Denn Tsipras fordert im Prinzip nichts anderes, als die Misswirtschaft der letzten Jahrzehnte fortzuführen, den aufgeblasenen Beamtenapparat zu reaktivieren, um Arbeitsplätze für Parteimitglieder oder strategische Freunde zu schaffen, alle Steuern für griechische Staatsbürger zu senken und gleichzeitig die Steuern für ausländische Investoren zu erhöhen, beziehungsweise mit konfiskatorischen Mitteln zu erzwingen – ein Konzept, das in Ungarn durch Viktor Orban gerade auf die Spitze getrieben wird. Diese linksreaktionäre, nationalistische Politik Tsipras’ findet gerade im starken Gewerkschaftsapparat Griechenlands seine Anhänger und die Versprechungen, zwei Milliarden Euro für die humanitäre Krise Griechenlands aufzubringen, klingt verlockend. Doch am Ende bleibt es nur bei dieser Symptombehandlung, während die Fehler, die maßgeblich zur Intensität der griechischen Krise beigetragen haben, nicht nur nicht erkannt, sondern wieder zum Parteiprogramm gemacht werden.

Schießt sich Griechenland selbst ins Aus, bleibt offen wie Europa darauf reagiert. Die offizielle Linie ist spätestens seit heute klar: Ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone scheint kein größeres Problem für die Europäische Union zu sein und eine Kettenreaktion in anderen Krisen-staaten wird nicht erwartet. Das sagt zumindest die deutsche Bundesregierung, die sich ja nicht erst seit heute als das Sprachrohr der europäischen Politik entpuppt hat. Doch was hinter den Kulissen verhandelt wird, bleibt im Verborgenen. Es ist vorstellbar, dass dort doch mehr Sorge herrscht, als öffentlich zugegeben wird, zumal Griechenland nicht nur Symbolcharakter für die wirtschaftliche und politische Krise Europas hat, sondern auch militärisch und strategisch von wichtiger Bedeutung für die Westallianzen ist. Griechenland hat eine der größten Außengrenzen der Festung Europa, auf Zypern wird nach wie vor ein de facto Stellvertreterkonflikt zwischen West und Ost ausgetragen und Griechenland ist ein wichtiger NATO-Stützpunkt, mit Militärausgaben die noch 2011 über vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmachten und Griechenland damit im Weltranking auf Platz 22, zwischen China und den USA, lag. Schafft es SYRIZA in den nächsten Jahren eine Linksregierung aufzubauen, die sich diesem westlich-europäischen Einfluss versucht zu entziehen oder gar offen entgegen zu stellen, scheint auch eine Organisierung der europatreuen Kräfte nicht ganz ausgeschlossen. Gerade in Anbetracht der Situation und Einflussnahme Europas in der Ukraine, muss dieser Möglichkeit Aufmerksamkeit geschenkt werden. Dabei darf auch nicht vergessen werden, dass Griechenland bis vor etwas mehr als 30 Jahren durch das Militär beherrscht wurde, das nach wie vor eine enorm große Rolle in der griechischen Bevölkerung und Politik spielt und bereits 2009 eine Reihe von Generälen wegen der Planung von Umsturzversuchen verhaftet wurden. Natürlich handelt es sich bei diesem Szenario um ein extremes, das zum Glück sehr unrealistisch scheint. Und doch, in Anbetracht der sich momentan immer weiter radikalisierenden und extremer werdenden Gesellschaft ist Wachsamkeit notwendiger denn je.

Es bleibt zu hoffen, dass die griechische Bevölkerung sich nicht von populistischen Wahlzuckerln und nicht einlösbaren Versprechungen einlullen lässt, sich nicht der Versuchung hingibt, einen “starken Führer” zu fordern, die korrupten Machenschaften der etablierten Parteien erkennt und sich dagegen stellt. Der einzige Weg aus der politischen Krise ist die Organisierung der Bevölkerung selbst – nicht durch einen Partei- und Beamtenapparat, sondern durch ein solidarisches Miteinander, den Auf- und Ausbau nachbarschaftlicher Strukturen, wie sie zum Beispiel im Athener Bezirk Exarchia bereits bestehen, und gerade in den Großstädten auf kleine, lokale Entscheidungsebenen zu setzen – das alles ohne Abschottung und Nationalismus und Phrasendrescherei.

Romanos – ein gewonnener Kampf?

Erst vor einigen Tagen (noch vor dem 6. Dezember) saß ich bereits leicht angetrunken in meiner Stammbar in Thessaloniki und diskutierte mit Freunden den Hungerstreik des 21-jährigen Anarchisten Nikos Romanos, der sein Recht auf Hafturlaub zu Bildungszwecken einforderte. Da war noch keine Rede von Fußfessel oder ähnlichem, wohl aber von der Möglichkeit, die Vorlesungen via Videostream zu verfolgen. Die meisten von uns standen in Solidarität mit Nikos Romanos, der wegen eines missglückten Bankraubes zu 16 Jahren hinter schwedischen Gardinen verurteilt wurde. Nikos Romanos war ein guter Freund des 2008 von einem Polizisten ermordeten 15-jährigen Alexis Grigoropoulos, war dabei als dieser erschossen wurde und ist als Sargträger auch auf Fotos der Beerdigung von Alexis zu erkennen.

Am 10. November dieses Jahres verkündete Nikos Romanos, dass er in den Hungerstreik treten werde, um seinem Antrag auf bildungsbedingten Hafturlaub ein wenig mehr Druck zu verleihen. Als dieser Antrag letzte Woche, am 2. Dezember, abgelehnt wurde, kam es zu Straßenschlachten in Athen und anderen Solidaritätsbekundungen in ganz Griechenland und Nikos verlautbarte, dass er „bis zum Sieg oder Tod“ weitermachen würde.

Wir diskutierten also Nikos Haltung und die Reaktionen des „Schweinesystems“, gaben jeder unseren Senf dazu und während wir genüsslich unseren Raki tranken, überlegte man, was wohl die Folgen wären, wenn Romanos sterben würde. Eine seltsam und etwas ekelhaft anmutende Situation, über die positiven und negativen Outcomes des Todes eines Menschen zu philosophieren, der als militanter Anarchist es irgendwie geschafft hatte, sogar Teile der alten bürgerlichen Garde auf seine Seite zu schlagen. Nun bin ich Nikos bestimmt näher, als es der bürgerliche Teil dieser Gesellschaft je sein wird und doch habe auch ich meine Probleme mit so manchen seiner Vorstellungen, was mich aber nicht davon abhält, ihm meine Solidarität auszudrücken. Ich finde seine Texte und Gedanken zum Thema Gefängniskritik sehr gut und unterstütze seine Forderung auf „freien“ Zugang zu Bildung für Gefangene. Und doch war ich von Anfang an skeptisch, was diesen Hungerstreik betrifft. Ich war ganz einfach der festen Überzeugung, dass sich der griechische Staat, wie beinah alle anderen westlichen Staaten auch, nicht durch einen Hungerstreikenden erpressen lassen würde. Ich war mir sicher, dass gerade der griechische Staat es lieber in Kauf nehmen würde, mit erneuten tagelangen Straßenschlachten konfrontiert zu sein, als vor einem militanten Anarchisten in die Knie zu gehen. Ich ging sogar soweit, in der geschlossenen Runde mit Freunden Romanos des Opportunismus zu bezichtigen, weil mich, trotz aller Lebensfreude die Romanos verbreitet, der leise Verdacht beschlich, dass er dem Märtyrerdarsein irgendwie was abgewinnen könne. Und mit Märtyrertum habe ich ganz grundsätzlich ein großes Problem.

Nun, ich wurde in allen Punkten eines Besseren belehrt.

Gestern, nachdem ich auf einer Solidaritätskundgebung für Nikos war, traf ich mich mit einem Freund in besagter Stammbar und natürlich war Romanos das überwiegende Gesprächsthema. Früher an diesem Tag wurde erstmals ernsthaft in Erwägung gezogen, dass Nikos eventuell das Gefängnis mit einer Fußfessel verlassen könnte, um an Vorlesungen an der Uni teil zu nehmen. Wir glaubten noch nicht ganz daran und waren uns auch nicht einig darüber, ob Romanos diesen Kompromiss akzeptieren würde.

Heute, am 31. Tag seines Hungerstreiks, und dem ersten seines Durststreiks, heute, am 10. Dezember 2014, ist der griechische Staat doch vor einem militanten Anarchisten in die Knie gegangen. Und heute hat auch Nikos mich überzeugt, dass er dem suizidal-heldenhaften Märtyrertum nicht soweit verfallen ist, dass er nicht mehr willig wäre, einen kleinen Kompromiss mit diesem Staat, den er so sehr hasst, einzugehen und sein eigenes Leben zu retten. Wäre er gestorben, hätte uns das auch nicht weitergebracht. Im Gegenteil, es wäre die Bestätigung für meine verdrossene, reaktionäre Annahme gewesen, der Staat sei unbezwing- und unbesiegbar. Es wäre, nach einem kurzen Aufflammen von endlichen Straßenkämpfen und Scharmützeln mit der Polizei wohl der Todesstoß für die romantisierte griechische Bewegung gewesen.

Und doch, wenn man die Hintergründe, wie es nun zu dieser politischen Entscheidung kam, Nikos die Fußfessel (nach einem erfolgreichen Semester Fernstudium) zu gewähren genauer betrachtet, taucht manch unangenehme Frage auf, die gestellt werden muss. Die erste und vermutlich offensichtlichste ist wohl jene, ob denn dieses Einlenken der Regierung Samaras tatsächlich ein Sieg für die radikale Linke bedeutet. Ich will nicht bezweifeln, dass Romanos mit seiner Entschlossenheit und Ehrlichkeit als Sieger aus diesem Kampf hervorgeht; und für ihn persönlich ist es ein lebensrettender Erfolg. Doch wer, abgesehen von Nikos selbst, profitiert denn nun eigentlich davon? Und wie kam es zu dieser plötzlichen Kursänderung der Regierung und auch der Haltung von manch rechter Partei?

Nikos Romanos hat in einem seiner ersten Statements relativ klar gemacht, dass die bürgerlichen Parteien, humanistische NGOs und bedauernde Politiker sich ihre Solidarität mit ihm sonst wo hinstecken können. Er glaubte an die Solidarität der Straße (zu Recht, wenn man bedenkt, dass in den letzten Wochen zehntausende Menschen für ihn durch die griechischen Städte marschierten) und der seiner Genossen in den Gefängnissen.

Nun war es aber doch eine dieser bürgerlichen Parteien, die ihm vermutlich das Leben gerettet hat. Genauer gesagt das populistische Links-Bündnis rund um Alexis Tsipras und seiner SYRIZA Partei. Nachdem noch gestern keine Einigung im Parlament auf den Antrag einer Fußfessel erzielt werden konnte, hat heute Morgen Tsipras in einem Telefonat mit dem Präsidenten der Republik diesen aufgefordert, Stellung für das menschliche Leben zu beziehen und verdammt nochmal Nikos Leben über die Grabenkämpfe der Parteien hinweg zu retten. Karolos Papoulias rief daraufhin Premierminister Samaras an und verlangte von diesem, eine menschliche Lösung zu finden und eine Einigung im Parlament zu erzielen. Samaras’ Justizminister hatte bereits einen neuen Vorschlag ausgearbeitet, der schlussendlich heute Mittag unter Applaus der Abgeordneten angenommen wurde. Aber was genau hat sich jetzt seit gestern geändert und warum stimmt das gestern noch zerstrittene Parlament plötzlich vereint für den Hafturlaub von Romanos? Ich kann nur spekulieren, doch ging in all dem Jubel innerhalb der Solidaritätsbewegung, die den Erfolg gleich mal als gewonnen Kampf der radikalen Linken gegen das „Schweinesystem“ verbucht, eines unter: Samaras hat vor zwei Tagen angekündigt, die eigentlich für 2015 geplanten Präsidentschaftswahlen vorzuziehen und noch bis zum 29.12. über den neuen Präsidenten der Republik abstimmen zu lassen. Der Präsident wird in Griechenland vom Parlament gewählt; einem Parlament das seit Jahren kaum mehr eine Einigung erzielen kann. Dass die Notwendige Mehrheit bei den (vermutlich mehreren) Abstimmungen erzielt werden kann, ist möglich, aber sehr fraglich. Im Falle, dass sich die Abgeordneten nicht auf einen neuen Präsidenten einigen können, bedeutet das die nächste Runde des Lieblingsspieles der Griechen: Parlamentswahlen! Sollte es soweit kommen, wird sich so mancher Großunternehmer Griechenlands und Wirtschaftspolitiker der EU mal gehörig ins Hemd machen, während umgekehrt der feuchte Traum der populistischen Neulinken Realität werden könnte. Denn bei Neuwahlen verspricht sich SYRIZA eine große Chance darauf, als Siegerin aus den Wahlen hervorzugehen. Dabei könnte unfreiwillig auch Romanos eine Rolle spielen. Denn schreibt sich SYRIZA diesen Erfolg im „Kampf für das Recht“ des charismatischen Anarchisten auf die eigenen Fahnen, kann sie sich so mancher Stimme und Unterstützung auch aus dem radikalen Lager sicher sein. Und obwohl manche vermuten, dass der Einsatz für einen (nicht verurteilten, aber von manchen doch als solchen bezeichneten) linken Terroristen der Partei mehr schaden könne, als ihr Stimmen bringen, überwiegt momentan in der Bevölkerung doch das Bild des sympathischen jungen Mannes, den die Erfahrung des Todes seines Freundes und das Aufwachsen mit der Krise in die fantastische Welt des Revoluzzertums abrutschen ließ und der ja eigentlich die Welt vor den korrupten Ausbeutern und Marionetten dieses Systems retten wollte. Ein Bild, das auf breite Zustimmung und viel Verständnis stößt.

Ich denke, es bleibt nun vorerst abzuwarten, ob denn auch die Justiz dem Antrag auf die Fußfessel tatsächlich stattgeben wird und wie sich die generelle Lage in diesem sich stetig radikalisierenden Land entwickelt. Wir sollten froh sein, dass Nikos lebt. Wir sollten vor allem auch der breiten Solidarität der Straße dankbar sein, die ihn solange durchhalten ließ. Und wir sollten wachsam sein, wer aus Nikos’ gewonnen Kampf nun Profit schlagen will. Ich hoffe, auch Nikos Romanos bleibt so wachsam und unkorrumpierbar, wie er es bis jetzt war.

Heute werde ich meinen Raki ohne Zweifel auf Nikos trinken, mit dem bitteren Beigeschmack, dass dieser Kampf noch lange nicht vorbei ist.

Kurzes Update zur Situation in Saloniki

Nach den massiven Kämpfen von Samstag war Sonntags etwas die Luft herausen. Trotzdem versammelten sich auch am Sonntag mehrere Tausend Menschen zu einer Demonstration in Solidarität mit den Gefangenen des 6. Dezembers und Nikos. Außerdem stand die Demo auch im Zeichen gegen die Verabschiedung des Haushaltsplanes des Parlaments, der wiedermal entgegen allen Versprechungen viele Kürzungen und Einsparungen vorsieht.

Die Besetzung des Gewerkschaftshauses geht weiter. Nach wie vor beteiligen sich viele motivierte Menschen an der Besetzung und es entstand dort ein Netzwerk, das über all den Grabenkämpfen untereinander der letzten Jahre steht und viele Gruppen miteinander in Verbindung bringt. Das Gewerkschaftshaus wurde mittlerweile sowohl symbolisch, als vor allem auch praktisch zum Hort des Widerstandes in der Stadt.

Gestern hat sich Nikos’ Vater mit dem Premierminister getroffen. Nach dem Treffen sagte Romanos senior, dass auch der PM keine Lösungsansätze parat gehabt hätte und sein Sohn wohl den Hungerstreik weiterführen werde. Nikos befindet sich mittlerweile in einem ernstzunehmenden, kritischen Zustand. Die Hoffnung, auf ein Einlenken des Staates und somit der Rettung von Nikos’ Leben, schwindet von Tag zu Tag.

Für morgen wird in Saloniki zu einer Motorraddemo in Solidarität mit Nikos aufgerufen.

Am Donnerstag wird zu einer generellen, Großdemonstration für Nikos mobilisiert. Da könnte es unter Umständen wieder zu Kämpfen kommen. Wir halten euch auf dem Laufenden.

Die Solidaritätsaktionen für Nikos, die in den letzten Tagen aus der ganzen Welt nach Griechenland getragen wurden, sind für Nikos eine große Unterstützung. Das hat er mehrmals betont. Aber auch für uns, die wir außerhalb der Gefängnisse und Isolation in Krankenhäusern kämpfen, ist diese breite Solidarität ein Antrieb, der uns weitermachen lässt. Für Nikos vor Allem, aber auch für uns und die revolutionäre Sache.

Wir freuen uns über weitere Aktionen.

Solidarität und Freiheit für Nikos Romanos!

Der Kampf geht weiter!

Remember remember – Thessaloniki at 6th of December

In Saloniki wurde bereits für 12 Uhr Mittags zu einer Demonstration im Gedenken an den am 6. Dezember 2008 von der Polizei getöteten, damals 15-jährigen, Alexandros Grigoropoulos mobilisiert. Gegen 13 Uhr hatten sich bei Kamara bereits um die 6000 Menschen eingefunden und zwanzig Minuten später zog die Demo los. Während der ersten paar Meter schlossen sich noch weitere Menschen dem Demozug an, sodass es schlussendlich ca 7000 DemoteilnehmerInnen waren. Polizei war zu diesem Zeitpunkt weit und breit keine zu sehen.

https://www.youtube.com/watch?v=YdAmyKLSC8M

Von Anfang an gab es einen Block von ca 200 Personen, die eindeutig für einen Riot gerüstet waren und von Beginn an mit Gasmasken mitliefen.

http://assets2.vice.com/images/content-images/2014/12/07/nyxta-orgis-kai…

Als die Demo schließlich in die Einkaufsstrasse Tzimiski einbog, gingen die ersten Scheiben einer Bank zu Bruch. Weitere folgten und viele Überwachungskameras wurden zerstört. Zu einem unerfreulichen Zwischenfall (der vermutlich auch den späteren Angriff der Cops ausgelöst haben durfte) kam es, als eine Zara-Filiale angegriffen wurde. Die Schaufensterscheibe ging zu Bruch und irgendjemand legte Feuer im Geschäftsraum, während noch drei ArbeiterInnen im Kellerlager waren. Einige mit Gasmasken ausgerüstete Personen liefen sofort ins Gebäude und holten die ArbeiterInnen heraus, löschten das Feuer und verhinderten dadurch womöglich, dass es zu einer ähnlichen Katastrophe wie beim Angriff auf eine Athener Bankfiliale im Jahr 2010 kam, bei dem drei Menschen starben. Das Legen des Feuers wurde in einem späteren Plenum scharf verurteilt und mit klaren Worten wurde gesagt, dass Leute, die für diese oder ähnliche Aktionen verantwortlich sind, nunmehr als Feinde der Bewegung betrachtet werden.

Kurz darauf kam es zu dem Angriff der MAT-Einheiten, die zu folge hatten, dass die Demo in zwei Hälften gesplittet wurde und mehrere Personen festgenommen wurde. Es wurde noch versucht, die Polizei zurückzuhalten, was aber nicht gelang und mit mehreren Festnahmen endete. Zu diesem Zeitpunkt kam es erstmals zu massivem Einsatz von Tränengas und vor allem Schockgranate, durch die mehrere Personen verletzt wurden.

https://www.youtube.com/watch?v=pieITvSP-64

https://www.youtube.com/watch?v=7W4zv9Q5tns

http://www.alterthess.gr/content/neo-vinteo-apo-tis-prosagoges

http://www.alterthess.gr/content/vinteo-apo-tis-progagoges

http://www.alterthess.gr/content/vinteo-spaei-sta-dyo-i-poreia

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Der erste Teil der Demo zog weiter in Richtung Egnatia-Straße.

Nach kleineren Auseinandersetzungen mit den Cops, konnte schließlich auch der hintere Teil der Demo weiterziehen.

http://www.alterthess.gr/content/vinteo-mat-kai-dias-stin-karoloy-ntil-kai-tsimiski

Schließlich vereinigten sich beide Demoteile wieder auf der Egnatia-Straße, auf der bereits Barrikaden vom ersten Demoteil errichtet wurden und fleißig Steine ausgegraben wurden. Der vermeintliche Großangriff der Polizei blieb aber aus und es kam lediglich zu kleineren Scharmützeln.

Schließlich zog die Demo zu einem Gewerkschaftshaus, um dort ein Plenum abzuhalten und zu diskutieren, wie es nun weitergehen würde, da ein Marsch ins Zentrum auf Grund der massiven Polizeipräsenz unmöglich schien. Der Forderung nach Einlass, wurde von Gewerkschaftsangehörigen nicht nachgekommen – die Tür war aber schnell aufgebrochen und das Gebäude damit besetzt. Schlussendlich solidarisierten sich auch Teile der Gewerkschaftler und überliessen das Haus der Menge. Ein Plenum wurde abgehalten um ein mal zu klären, wieviele Menschen verhaftet wurden und wie nun weiter vorgegangen werden sollte. 8 Menschen wurden verhaftet, von denen sechs von der Polizeistation aus ins Krankenhaus gebracht wurde, da sie bei der Polizei massiv verprügelt wurden. Am Abend sollte eine Demo vom Gewerkschaftshaus aus zum Krankenhaus starten, während 50 Menschen im Haus bleiben sollten, um es zu bewachen und zu verbarrikadieren. Außerdem wurde beschlossen, dass die Besetzung auf jeden Fall bis Montag gehalten werden soll. Als sich gegen 19.30 Uhr langsam Menschen vor dem Haus zu einem Demozug formierten, Griffen die Cops plötzlich von zwei Seiten an. Ein massiver Kampf brach aus. Am Anfang konnte die Polizei noch mit Steinen und Mollis zurückgehalten werden, der Überraschungseffekt ihres Angriffes hatte aber zur Folge, dass kaum Menschen mit Gasmasken vor dem Gebäude waren und somit die Gegenwehr wegen des massiven Einsatzes von Tränengas immer schwieriger wurde. Die Polizei versuchte, in das Gebäude zu gelangen. Die meisten der ca 40 Personen, die sich zu diesem Zeitpunkt innerhalb des Hauses befanden, flüchteten aufs Dach und verbarrikadierten sich dort. Ein paar wenige versuchten die Cops vom Betreten des Hauses ab zu halten.

http://www.alterthess.gr/content/fotografies-apo-tin-eisvoli-ton-mat-sto-ekth

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http://www.alterthess.gr/content/vinteo-eisvoli-ton-mat-sto-ekth-spane-t…

http://www.alterthess.gr/content/vinteo-synthimata-apo-ti-taratsa-toy-ekth-meta-tin-epithesi-ton-mat

http://www.alterthess.gr/content/fotografies-mat-sto-ekth

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Mehrere Personen wurden verhaftet und zum Teil schwer verletzt. Eine Person erlitt durch einen Steinwurf eines Cops schwere Kopfverletzungen.

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Gegen Mitternacht konnten die Cops schliesslich aus der näheren Umgebung des Gewerkschaftshauses vertrieben werden und ein weiteres Plenum abgehalten werden. Die Besetzung wird weitergeführt und heute um 17.00 startet eine weitere Demo.

Solidarität mit Nikos Romanos!

Der Kampf geht weiter!