Der 8. Mai ist ein Tag des Sieges, aber auch der Erinnerung!

Am 8. Mai 2015 jährt sich zum 70. Mal die bedingungslose Kapitulation der Deutschen Wehrmacht. Der sogenannte VE-Day markiert das Ende des nationalsozialistischen Regimes und des 2. Weltkriegs. Es ist ein Tag der Freude und ein Tag des Sieges über die Barbarei der Nationalsozialisten. Und doch ist es auch ein Tag des Gedenkens und ein Tag des Erinnerns. Ein Gedenken an die gefallenen Soldaten der Siegermächte, unter denen die Rote Armee mit Abstand die größte Last des Krieges in Europa zu tragen und mit 13 Millionen gefallenen Soldaten die größten Verluste zu beklagen hatte. Und ein Erinnern. Ein Erinnern an die deutsche Schuld und an die Einzigartigkeit der Schoah.
Gerade in Österreich, wo wir es mit der Aufarbeitung der Verbrechen die unsere Eltern, Großeltern und Urgroßeltern begangen haben, nicht so genau nehmen, ist das Erinnern auch an Tagen des Sieges notwendig,
was der Säureanschlag Ende April auf das „Heldendenkmal der Roten Armee“ am Schwarzenberplatz wieder einmal bestätigt. Der „sekundäre Antisemitismus“, der sich durch Schuld- und Erinnerungsabwehr, Relativierung und Verharmlosung oder Leugnung deutscher Verbrechen auszeichnet, mag mit dem „Fest der Freude“ vom Heldenplatz verbannt sein, doch existiert er in so manchen Köpfen weiter. In Zeiten, in denen die Gräuel der Nazis durch Vergleiche wie mit den Verbrechen des Islamischen Staates, oder einer sogenannten „Israelkritik“ auch von ranghohen Politikern relativiert werden, bedarf es einmal mehr des Hinweises auf die Einzigartigkeit der Schoah. Denn ein Verneinen dieser Singularität ist immer auch die Relativierung der Leiden der Opfer und eine Verhöhnung der Toten.

Auschwitz ist ohne Antisemitismus nicht denkbar.
In seinem Bericht „Ist das ein Mensch?“ beschreibt der italienische Schriftsteller und Chemiker Primo Levi die Lagerhaft in Auschwitz und macht klar, das es den Nationalsozialisten nicht einzig um die Vernichtung der Juden ging, sondern viel mehr darum, ihnen im Moment der Vernichtung jede Form von Menschsein und Würde zu nehmen. Die Verbindung zwischen permanenter Entmenschlichung der Häftlinge und ihrer Vernichtung macht dabei die Singularität aus.
Levi notiert dazu am 26. Jänner 1944, einen Tag vor der Befreiung von Auschwitz: “Mensch ist wer tötet, wer Unrecht zufügt oder erleidet; kein Mensch ist, wer je
imagesde Zurückhaltung verloren hat und sein Bett mit einem Leichnam teilt. Und wer darauf gewartet hat, bis sein Nachbar mit Sterben zu Ende ist, damit er ihm ein Viertel Brot abnehmen kann, der ist, wenngleich ohne Schuld, vom Vorbild des denkenden Menschen weiter entfernt als […] der grausamste Sadist.”
Enzo Traverso, italienischer Historiker und Journalist, schreibt im Hinblick auf das Begreifen der Schoah als eine historische Singularität, dass den “Völkermord an den Jude
n [als] einzigen, bei dem die Vernichtung der Opfer kein Mittel, sondern Selbstzweck war” zu verstehen notwendige Bedingung dafür ist.

Gerne wird gerade im Zuge des „sekundären Antisemitismus“, aber auch im historischen Erinnerungsprozess der Holocaust mit dem Massenmord Stalins und den Lagern in der Sowjetunion verglichen. Vergleicht man aber die Schoah mit dem stalinistischen Massenmord, wird schnell klar, dass der Terror Stalins eine Vernichtung ohne Theorie und Ideologie war. Mehr noch: Der Massenmord stand sogar im krassen Gegensatz zur Leitideologie der Sowjetunion und noch mehr im Widerspruch zu den theoretischen Schriften von Marx, Engels und Lenin.
Stalins Terror galt viel mehr der Sicherung seiner Macht, als einer ideologisch begründeten, ethnischen Vernichtung. Denn dem stalinistischen Massenmorden vielen vor allem jene Menschen zu Opfer, die die politische Elite der Sowjetunion darstellten und aus deren Reihen die einzige ernsthafte Konkurrenz zu Stalin erwachsen konnte. Natürlich waren unter den Opfern der stalinistischen Massenmorde auch viele Bauern, Arbeiter und Intellektuelle. Dies jedoch einzig aus einem paranoiden Wahnsinn heraus, jeden wie auch immer gearteten (vermeintlichen) Widerstand gegen Stalins Herrschaft zu vernichten.
Dagegen folgte die Durchführung der Schoah in ihrer Barbarei der ideologischen Fantasie von der Reinigung des Volkskörpers. Hitlers Versprechen etwa, den rassistischen Antisemitismus und die Vorstellung vieler Deutscher von der Eliminierung der Juden zu befriedigen, zielte darauf ab, die Masse der Deutschen hinter sich zu einen. Die praktische Umsetzung in Form von Deportation und Vernichtung spielte für die deutsche Masse dabei keine wesentliche Rolle, da, wer der deutschen Vorstellung eines lebenswerten Menschen entsprach, eben nicht von Deportation und Vernichtung bedroht war. Damit war die Schoah Selbstzweck und nicht wie das willkürliche Unterdrückungssystem Stalins ein Mittel zur Herrschaftssicherung.
Die Schoah war kein Ausbruch primitiver Gewalt. Sie diente
auch keinem anderen Zweck, als den antisemitischen Wahn vieler Deutscher und Österreicher zu befriedigen.

In der Auseinandersetzung mit dem Holocaust darf die Gegenwart nicht fehlen.
Auch wenn die Schoah heute eine historische Singularität darstellt, also in der bisherigen Menschheitsgeschichte einzigartig ist, kann ihre Wiederholung nicht ausgeschlossen werden und es bedarf einer stetigen Erinnerungskultur um eben eine solche Wiederholung zu verhindern.

 Dabei geht es nicht darum, die Erinnerung zu idealisieren oder die Schoah religiös zu verklären. Auch darf es zu keiner Relativierung anderer Völkermorde oder einer Hierarchisierung der Opfer kommen. Es geht darum, die Hintergründe zu erklären und nach dem Warum zu fragen.
Auschwitz war die Konsequenz
eines rassistischen Antisemitismus, der dem europäischen Bürgertum des frühen 20. Jahrhunderts entsprang. Der christliche Antijudaismus wurde vor allem durch den Wahldeutschen Houston Steward Chamberlain, einem glühenden Verehrer und Schwiegersohn Richard Wagners, in einen rassistischen Antisemitismus transformiert, einer Wandlung, die vor allem in Deutschland große Zustimmung fand. In Chamberlains Ideologie überschneidet sich der traditionelle christliche Antijudaismus mit der sozialdarwinistischen Idee eines „Kampfs ums Dasein“, in dem die Menschheit in miteinander konkurrierende Rassen zerfällt. In dieser Ideologie werden die Juden als jene Rasse identifiziert, deren Existenz das Überleben der anderen Rassen bedrohen. Die Lösung liegt bereits bei Chamberlain in der Vernichtung der Juden. Sein Konzept des rassistischen Antisemitismus könnte man als eine Fluchtbewegung aus bürgerlichen und wissenschaftlichen Zwängen deuten. Chamberlain flüchtete sich in eine scheinbar intellektuelle, völkische, künstliche Gedankenwelt, fern von wissenschaftlicher Rationalität und tatsächlichem Intellekt. Dies macht und machte seine Ideen jedoch nicht weniger gefährlich und populär.
In der Auseinandersetzung mit der Schoah und dem Holocaust darf das Wissen über den modernen, rassistischen Antisemitismus nicht fehlen. Auch darf der Blick auf den wieder steigenden Antisemitismus in Europa nicht fehlen. Wenn heute Terroristen Anschläge auf jüdische Einrichtungen durchführen, jüdische Supermärkte angegriffen werden, Juden auf offener Straße beschimpft werden, einzig weil sie Juden sind, steckt hinter alldem ein antisemitisches Moti
v. Der Versuch, eben die jüngsten antisemitischen Attentate mit der Bombardierung des Gazastreifens durch Israel zu erklären, kommt einer Täter-Opfer-Umkehr gleich. Wer meint, rassistischen Antisemitismus mit einer vermeintlichen „Israelkritik“ relativieren zu müssen, relativiert damit in konsequenter Weise auch die Opfer der Schoah und begibt sich auf den Pfad der antisemitischen Weisheit „Was er glaubt ist einerlei, im Blute liegt die Schweinerei“.

Dem islamistischen Antisemitismus muss gleich wie dem europäischen Einhalt geboten werden.
Der israelische Historiker Yehuda Bauer hat den radikalen Islamismus, neben dem europäischen Faschismus und dem Stalinismus, als dritte große totalitäre Bewegung bezeichnet. Der Islamismus sieht im Koran eine Anleitung für eine gerechte Gesellschaft, die den Kapitalismus einschränkt und auf absoluter Autorität aufbaut. Diese Weltanschauung unterscheidet sich von jener sozialdarwinistischen des modernen rassistischen Antisemitismus nur durch ihren Inhalt. Die Formen aber, sich aufgrund eines unum
stößlichen Gesetzes einer demokratischen Entscheidungsfindung zu entziehen und den (gottgegebenen) Auftrag wenn nötig mit terroristischen Mitteln durchzuführen, gleichen sich. Während der Koran in Bezug auf das Judentum teils in polemischem Stil zwischen einer Rhetorik des Verfluchens und Verzeihens schwankt, filtert der radikale Islamismus die negativsten antijüdischen Aussagen aus dem Koran heraus und verfestigt sie zu einem rassistischen Stereotyp. Fantasien von der Vernichtung Israels und einer judenfreien arabischen Welt, sowie Überzeugungen, dass ein Verschwinden Israels von der Landkarte den Frieden im Nahen Osten sichern würde, führen in ihrer Konsequenz zu einer erneuten Verfolgung und Vernichtung von Juden.
Die Brisanz der gegenwärtigen Situation in Europa, dass sich der ethnologisch-rassistische Antisemitismu
s mit jenem islamistisch-rassitischen überschneidet und eine gemeinsame Hetze gegen Juden betrieben wird, schafft ein Klima, das bereits mehrere Tausend europäische Juden in die Flucht getrieben hat. Wir müssen daher einerseits die geschichtsrevisionistische Verharmlosung oder gar Verleugnung des Holocausts bekämpfen und die Singularität der Schoah anerkennen und gleichzeitig uns gegen eine antisemitische Erlösungstheorie, in Form der sogenannten „Israelkritik“, die über die Grenze einer kritischen Haltung gegenüber dem Zionismus weit hinausgeht, zur Wehr setzen.
Feiern wir also den 8. Mai als einen Tag der Freude und Befreiung von der Barbarei. Aber denken wir auch an Adornos Maxime: „Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung.“

“Maybe I’m a bit of an Anarchist“

The following interview was published in “Der Standard” on March 2nd 2015. To see the original click here.

Without bitterness José „Pepe“ Mujica takes stock of his life as a guerilla fighter, political prisoner and President of Uruguay. Device: Hate results in blindness.

STANDARD: Mr. President…

Mujica: Pepe!

STANDARD: Ok … Pepe, what happened to your nose?

Mujica: Yesterday I hurt myself with pliers, when I tried to bend a wire. Although I’m the President, yesterday I was driving around with a tractor, scooping soil from here to there. Then I came home dirty, tool a bath and looked after the bloody nose. That’s human freedom: that from time to time you can do, what makes you happy. I don’t live on the countryside because I’m a wack, but because I love nature very much.

STANDARD: In the 1970s you were fighting for political, economical and social change. You were a co-founder of the urban guerilla Tupamaros.

Mujica: We wanted a perfect world. We wanted, that people would have more to eat, have a roof over their heads, have better health and education. Nothing is more beautiful then life and immediately after there comes society. Humans need society. Humans are, anthropological speaking, socialists.

STANDARD: Did you adapted the ideas of those days to reality?

Mujica: You never adapt reality – it’s to complex.

STANDARD: You legalized gay marriage, abortion and the right to gender identity. You reduced unemployment, poorness and child mortality.

Mujica: The Left today seems to believe that it can replace the struggle for power with a social agenda. This is all very good. I support the course. But the black man, who really suffers, is the black man in poverty. And the woman who is the most discriminated and humiliated, is the woman in poverty. The same applies to the indigenous. Our big problem is the class difference. You have to fight for power, so that you then can bring structural changes.

STANDARD: You are often called the „poorest President of the world“.

Mujica: Because of my way of living: modest, with few lugage. This is my conscious choice. For What? To have free time. Because if I would amass money, I would have to constantly watch out that you do not steal from me. I would be wasting my time. And what you can not buy in the supermarket, is time. Well, maybe I’m a bit of an anarchist.

STANDARD: What has your government failed to do?

Mujica: We have neglected education. And in infrastructure we should have invest more. The economy grew strongly, but not so the infrastructure. Also we should had absolutely seriously seek a constitutional reform in order to bring profound changes. The judicial system represents the needs of the dominant class.

STANDARD: Once you said: “I was imprisoned 14 years, but I don’t hate anyone because of that.” How is that possible?

Mujica: Of course I might add a sadism content. One man is more, some less sadistic. During my time in prison I met soldiers who risked their lives to bring me a glass of grappa or an apple. Black and white does not exist. In between, there are always many shades of gray.

STANDARD: How to get rid of this experienced?

Mujica: I returned to where I was imprisoned. Military has brought me there. It makes no sense to ruminate about the past, to lick the wounds. Life is the future. From the past one should learn not to be buried by it.

STANDARD: No feeling for revenge?

Mujica: On he contrary. In my first speech shortly after my release, I already spoke of it: Hate makes you blind.

STANDARD: You have been nominated for the Nobel Peace Prize…

Mujica: I told them that they are crazy. Everywhere in the world wars were raging, and they came to me with the Nobel Peace Prize! I proposed to them, to give it post mortem to Gandhi.

STANDARD: Your presidential term is over. And now?

Mujica: Now I go in direction of my grave. Of course, very slowly (laughs). Death is a part of life. You return to the spring. But until that arrives, I will continue to politicize. I do not believe in a life as a pensioner. I would die of sadness in a corner.

(Camilla Landbø, DER STANDARD, 2.3.2015)

José “Pepe” Mujica (79) was elected for President in 2010. Before becoming deputy, then senator and finally a minister, the former guerilla-leader was imprisoned for 14 years in total until 1985.

Translation by Gewitterland

Der neue Weg SYRIZA’s

Seit der Ankündigung von vorgezogenen Präsidentschaftswahlen und spätestens seit dem Scheitern auch der dritten Wahlrunde des Präsidenten und den damit folgenden Neuwahlen, entfernt sich Alexis Tsipras immer weiter von ehemals radikalen Positionen. Damit nehmen auch die parteiinternen Streitereien zu. Die vor der letzten Wahl noch als unantastbare radikale Positionen geltenden Ideale werden nun zu Hauf über Bord geschmissen, was dem schrumpfenden radikalen Lager innerhalb des Bündnisses sauer aufstößt. Doch Tsipras lässt sich davon nicht beirren. Im Gegenteil. Nach mehreren ehemaligen PASOK-FunktionärInnen (zum Beispiel die ehemalige Vize-Innenministerin Theodora Tsakri) holt er mittlerweile auch noch wesentlich weiter rechts stehende PolitikerInnen in sein Boot. So lief Rachil Makri, eigentlich Kandidatin für die rechtskonservative, EU-kritische Partei der unabhängigen Griechen (eine Abspaltung der noch vor Kurzem regierenden Nea Demokratia) zu SYRIZA über.

Außerdem geht Tsipras mittlerweile auch auf Stimmenfang im klerikalen Lager. Nach Jahren des strikten, öffentlich ausgesprochentsiprasen Atheismus (in einem Land mit über 98 Prozent Gläubigen und in dem Säkularismus ein Fremdwort ist eine radikale Position) scheint der Führer des Linskbündnisses, aus wohl eher populistischen als persönlichen Gründen, plötzlich doch noch zu Gott zu finden. Nachdem er sich bereits vor mehreren Monaten mit Priestern und Mönchen in der autonomen Region Berg Arthos getroffen und verbrüdert hat, ließ er nun am 6. Jänner, dem Tag des Epiphanienfestes, als Zeichen seines aufkeimenden Spiritualismus eine weiße Taube gen Himmel steigen. SYRIZA rückt damit immer weiter in Richtung des bürgerlichen Lagers, weg von radikalen Positionen und Parolen gegen Sparmaßnahmen und Bevormundung durch Europa, hin zur gemäßigten Sozialdemokratie – der Platz dafür ist schließlich frei, seit dem die sozialdemokratische Partei PASOK kontinuierlich bei etwas mehr als vier Prozent herum schwimmt.

Die Strategie von Parteiführer Alexis Tsipras scheint klar: Weniger radikale Positionen, dafür mehr Stimmen aus dem bürgerlichen Lager. Denn eben das bürgerliche Lager wird die Wahl entscheiden.

Doch kommt dadurch erstmals eine weitere Komponente mit ins Spiel. Denn mit der Entradikalisierung von SYRIZA könnte die außerparlamentarische Linke genügend Stimmen ergattern, um Parlamentsabgeordnete zu stellen. Das radikale linke Bündnis ANTARSYA-MARS („Antikapitalistische Linke Zusammenarbeit für den Umsturz – Frontale Linke Kooperation“ oder auch „Aufstand – Marsch“) gewann zuletzt in den Umfragen an Stimmen und könnte damit für einige Furore und die Schwächung von SYRIZA sorgen.

Vermutlich wird die Strategie von SYRIZA aufgehen und sie werden als Sieger in dieser Wahl hervorgehen. Doch gleichzeitig wird damit nicht nur ein Rechtsruck innerhalb der Partei vollzogen, sondern auch die rechtsaußen Parteien gestärkt. Denn jene WählerInnen, die aus Protest gegen Nea Demokratia und Pasok ihre Stimme an SYRIZA abgeben wollten, könnten vom neuen Kurs der Partei enttäuscht sein und sich extremeren Positionen zuwenden. Und wenden sie sich nicht nach links, dann gibt es rechts genügend Auswahl. Und das könnte wiederum das Rennen zwischen den gleichauf liegenden Parteien Der Fluss (pro-europäisch) und der faschistischen Goldenen Morstatistikgenröte um Platz drei entscheiden.

Die Töne auf beiden Seiten werden jedenfalls von Tag zu Tag schärfer und nehmen teilweise skurrile Formen an. So hat ein Spitzenfunktionär der Partei der unabhängigen Griechen vor wenigen Tagen dazu aufgerufen, die Alten am Wahltag zu Hause ein zu sperren. Dies stellt nur eine von vielen Skurrilitäten dieser Parlamentswahl dar. Eine weitere ist auch, dass knapp 100.000 junge GriechInnen, auf Grund eines bürokratischen Demokratiedeffizites nicht zur Wahl zugelassen sind.

Am skurrilsten, und die Dialektik dieser Wahl offen legend, ist aber die Tatsache, dass für eine (noch nicht endgültig verurteilte) terroristische Vereinigung gewählt werden kann. Mehr als die Hälfte der Parteifunktionäre der  sitzen hinter Gittern, und doch wollen bis zu sieben Prozent der Griechen ihre Stimme den Neo-Nazis geben. Dies sollte Europa wirklich erschrecken.

Zur Satire

Ich bin eine Kunstfigur und ihr sads olle depperd.
Frogn muaß ma si, warums scho wieder a so scheppert.
Wo bleibt denn da die Frohnatur,
wenn olle a so schrein weg’n aner Karikatur.

Oba beim Gschrei bleibts jo ned,
des warad ja nu zum dadrong,
schiaßn danns ois obs ka moang ned hätt,
do muaß ma sie wirklich a Wengal frogn.

Wo is die Menschlichkeit geblieben,
hot sie’s jemoiß geb’n?
Wem die Schuid am Wahnsinn in die Schuhe schieben?
Konn kana mit irgendwem mehr redn?

Wir druckan nur mehr auf a Knopfal,
und drüm ois explodiert,
doch den meistn geht des ned ins Kopfal,
das wegen dera Wuat, ah bei uns dann wos passiert.

Wos in Paris jetzt is geschehn, is grauslig,
oba wema si ehrlich san is es a a Biserl lausig,
dass auf a Moi olle a so mitfühlig san,
weil a der Westen, der hat a a Schuld daran.

Kann es einen Ausweg aus der politischen Krise in Griechenland geben?

Nachdem Premierminister Samaras mit seiner strategischen Härteprobe gescheitert ist, wird nun also am 25. Jänner das griechische Parlament neu gewählt. Anders als gedacht, schaffte Samaras es nicht, genügend Oppositionelle hinter seinem Präsidentschaftskandidaten zu vereinen und errang in keiner der drei Wahlrunden die benötigte Stimmenanzahl. Die vorgezogenen Präsidentschaftswahlen waren wohl der letzte Versuch, sich als regierende Partei gegen das immer stärker werdende Links-Bündnis SYRIZA zu behaupten und der populistischen Volksrhetorik von Parteiführer Alexis Tsipras zu trotzen. Glaubt man den zahlreichen Umfragen, die in den letzten Tagen wie Schwammerl aus dem Boden schießen, wird SYRIZA die Wahl gewinnen. Jedoch ist SYRIZAs Vorsprung bereits gesunken und der Abstand zur Regierungspartei Nea Demokratia beträgt nur mehr knapp drei bis vier Prozent – ein Prozentsatz, der in Griechenland schnell die Seiten wechseln kann. Und doch ist es genau umgekehrt, als bei den letzten Parlamentswahlen 2012, als Nea Demokratia eben diese drei bis vier Prozent vor SYRIZA lag und über die tatsächliche Wahlrunde halten konnte.

Aber was würde ein Sieg der populistischen Linken in Griechenland eigentlich genau bedeuten? Sicher nichts Gutes. Wenn man sich die Rhetorik von Tsipras und Co genauer anhört und einen Blick auf ihr Programm wirft, wird schnell klar, dass SYRIZA entweder einen skrupellosen Kurs zurück zum aufgeblasenen Beamtenapparat und korrupter Freunderlwirtschaft der letzten Jahrzehnte verfolgt, oder von Wirtschaftspolitik ganz einfach keine Ahnung, beziehungsweise eine verkappt-nationalistische Vorstellung hat. Bei einem Sieg von SYRIZA gibt es im Prinzip zwei Szenarien mit unterschiedlichen, darauf folgenden Entwicklungen, die möglich sind. Das realistischere von beiden ist, dass alles beim Alten bleiben wird, da SYRIZA ihre Wahlversprechen nicht halten werden kann und schlussendlich einem Kompromiss mit Memorandum?? und Kreditgebern zustimmen wird müssen. Dies würde vermutlich nicht nur zu erneuten baldigen Wahlen führen, sondern auch zu einem starken Rechtsruck innerhalb der emotionalen Wählerschaft. Die wütenden Griechen, die dieses Mal aus Protest gegen das Memorandum und die Sparpolitik und aus europafeindlichen Gedanken heraus für SYRIZA stimmen, könnten ebenso schnell zu Wählern der faschistischen Goldenen Morgenröte werden. Was bei weiteren (Neu-)Wahlen zu einer Katastrophe führen könnte.

Das zweite Szenario ist das weniger realistische, aber deshalb nicht weniger gefährliche. Schafft es Tsipras, auch nur Teile seines (Wirtschafts-)Programms tatsächlich in die Tat umzusetzen, könnte das der wirtschaftliche Todesstoß für Griechenland sein. Denn Tsipras fordert im Prinzip nichts anderes, als die Misswirtschaft der letzten Jahrzehnte fortzuführen, den aufgeblasenen Beamtenapparat zu reaktivieren, um Arbeitsplätze für Parteimitglieder oder strategische Freunde zu schaffen, alle Steuern für griechische Staatsbürger zu senken und gleichzeitig die Steuern für ausländische Investoren zu erhöhen, beziehungsweise mit konfiskatorischen Mitteln zu erzwingen – ein Konzept, das in Ungarn durch Viktor Orban gerade auf die Spitze getrieben wird. Diese linksreaktionäre, nationalistische Politik Tsipras’ findet gerade im starken Gewerkschaftsapparat Griechenlands seine Anhänger und die Versprechungen, zwei Milliarden Euro für die humanitäre Krise Griechenlands aufzubringen, klingt verlockend. Doch am Ende bleibt es nur bei dieser Symptombehandlung, während die Fehler, die maßgeblich zur Intensität der griechischen Krise beigetragen haben, nicht nur nicht erkannt, sondern wieder zum Parteiprogramm gemacht werden.

Schießt sich Griechenland selbst ins Aus, bleibt offen wie Europa darauf reagiert. Die offizielle Linie ist spätestens seit heute klar: Ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone scheint kein größeres Problem für die Europäische Union zu sein und eine Kettenreaktion in anderen Krisen-staaten wird nicht erwartet. Das sagt zumindest die deutsche Bundesregierung, die sich ja nicht erst seit heute als das Sprachrohr der europäischen Politik entpuppt hat. Doch was hinter den Kulissen verhandelt wird, bleibt im Verborgenen. Es ist vorstellbar, dass dort doch mehr Sorge herrscht, als öffentlich zugegeben wird, zumal Griechenland nicht nur Symbolcharakter für die wirtschaftliche und politische Krise Europas hat, sondern auch militärisch und strategisch von wichtiger Bedeutung für die Westallianzen ist. Griechenland hat eine der größten Außengrenzen der Festung Europa, auf Zypern wird nach wie vor ein de facto Stellvertreterkonflikt zwischen West und Ost ausgetragen und Griechenland ist ein wichtiger NATO-Stützpunkt, mit Militärausgaben die noch 2011 über vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmachten und Griechenland damit im Weltranking auf Platz 22, zwischen China und den USA, lag. Schafft es SYRIZA in den nächsten Jahren eine Linksregierung aufzubauen, die sich diesem westlich-europäischen Einfluss versucht zu entziehen oder gar offen entgegen zu stellen, scheint auch eine Organisierung der europatreuen Kräfte nicht ganz ausgeschlossen. Gerade in Anbetracht der Situation und Einflussnahme Europas in der Ukraine, muss dieser Möglichkeit Aufmerksamkeit geschenkt werden. Dabei darf auch nicht vergessen werden, dass Griechenland bis vor etwas mehr als 30 Jahren durch das Militär beherrscht wurde, das nach wie vor eine enorm große Rolle in der griechischen Bevölkerung und Politik spielt und bereits 2009 eine Reihe von Generälen wegen der Planung von Umsturzversuchen verhaftet wurden. Natürlich handelt es sich bei diesem Szenario um ein extremes, das zum Glück sehr unrealistisch scheint. Und doch, in Anbetracht der sich momentan immer weiter radikalisierenden und extremer werdenden Gesellschaft ist Wachsamkeit notwendiger denn je.

Es bleibt zu hoffen, dass die griechische Bevölkerung sich nicht von populistischen Wahlzuckerln und nicht einlösbaren Versprechungen einlullen lässt, sich nicht der Versuchung hingibt, einen “starken Führer” zu fordern, die korrupten Machenschaften der etablierten Parteien erkennt und sich dagegen stellt. Der einzige Weg aus der politischen Krise ist die Organisierung der Bevölkerung selbst – nicht durch einen Partei- und Beamtenapparat, sondern durch ein solidarisches Miteinander, den Auf- und Ausbau nachbarschaftlicher Strukturen, wie sie zum Beispiel im Athener Bezirk Exarchia bereits bestehen, und gerade in den Großstädten auf kleine, lokale Entscheidungsebenen zu setzen – das alles ohne Abschottung und Nationalismus und Phrasendrescherei.

17N underground-fighter arrested

xiros

Yesterday the police in Athens arrested the 56-years-old  member and fighter of the 17th of November guerilla-group Christodoulos Xiros. Xiros was sentenced to six times life-sentence in 2003 for taking part in terrorist actions in the years between 1975 and 2000. Around one year ago he took his chance during a parole and escaped. Since then he was living in clandestine underground and was on the run. In the house in Athens he was (at least the last days) hiding, police found an arsenal of weapons and explosives, among it Kalashnikovs, Guns and a bazooka. Also police announced, that they found escape plans and plans for attacks.

Xiros after his arrest claimed, that the revolution will go on and the fight against oppression and exploitation is not over yet.

As far as we know now, during the arrest nobody was wounded and Xiros was not resisting against his arrest.

More updates following soon.

Romanos – a won battle?

The following article was first published in German on the 10th of December here and translated by a comrade. Thank you a lot, dear friend.

Merely a few days ago (prior to the 6th of December) I discussed Nikos Romanos’ hungerstrike with my friends and comrades in our regularly frequented bar in Thessaloniki. There was no mention of any ankle bracelet or such, however, we mainly talked about the possibility of participating in university lectures via a streamed video link. Most of us stood (and continue to stand) in solidarity with the anarchist Nikos Romanos, who was sentenced to 16 years behind prison bars because of a bank robbery. Nikos Romanos was good friends with Alexis Grigoropoulos, the 16-year old who was murdered by a police officer in 2008. Nikos was present when Alexis got shot, and he was also clearly recognizable in photos at Alexis’ funeral, where he is pictured carrying Alexis’ coffin.

On the 10th of November of this year, Nikos Romanos proclaimed that he would start a hunger strike in order to increase pressure on his demand to be granted educational leave from prison. Following the rejection of his demands last week, on the 2nd of December, riots ensued in Athens in addition to other solidarity actions all over Greece. Nikos announced that he would continue “until victory or death”.

Thus we discussed Nikos’ attitude as well as the reactions of the Schweinesystem (pig-system), each of us adding our grand theories to the debate, and – while drinking our Raki with much enjoyment – we wondered about the consequences if Romanos were to die. A rather strange and slightly distasteful situation during which we weighed the positive and negative outcomes of the death of a man who, despite being a militant anarchist, somehow managed to garner the support of certain parts of the ol’ bourgeoisie. Even though I am definitely closer to Nikos than to the bourgeoisie of this society, I still hold certain reservations about some of his opinions, which nonetheless do not hinder me from expressing my solidarity with him. I value his writing as well as his thoughts regarding a critical stance towards the prison system, and I support his call for a ‘free’ access to education for prisoners. From the onset, however, I remained sceptical when it came to this particular hungerstrike. I held onto the firm opinion that the Greek state, just like any other Western state, would not let itself be coerced by a hungerstriker. I strongly believed that this Greek state in particular would rather prefer facing repeated daily riots in the streets than surrender to a militant anarchist. In this close group of friends and comrades, I even went as far as accusing Romanos of opportunism, due to my slight suspicion that, even though Romanos spread a zest for life, he might be desiring martyrdom. And I generally find martyrdom highly problematic.

Well, I was proven wrong in all of my assumptions.

After I went to a solidarity vigil for Nikos yesterday, I met up with a friend of mine in our above mentioned bar and Romanos was obviously our dominant topic of conversation. The possibility of Nikos wearing an ankle bracelet in order to attend university lectures was seriously considered for the first time earlier that day. However, we still didn’t have much faith in that possibility and we weren’t even sure whether Romanos would accept such a compromise.

Today, on the 31st day of his hungerstrike and the first day of his thirst-strike, today on the 10th of December, the Greek state yielded and capitulated to a militant anarchist. Moreover, today Nikos convinced me that he did not fall for any suicidal-heroic martyrdom so that he wouldn’t be willing to accept a small compromise with this state, which he hates so deeply, and thus save his own life. If he would have died, that would have hardly advanced our cause. Quite the opposite, it would have reconfirmed my sullen and reactionary assumption that the state is impregnable as well as invincible. After a short new eruption of finite street riots and battles, it would have probably been the death blow for the romanticized Greek movement.

And yet, if one takes a closer look at the circumstances surrounding the political decision to grant Nikos the ankle bracelet (following a successful term of distance learning), some unpleasant questions arise, which nevertheless have to be asked. The first and possibly most obvious is the question of whether this concession by Samara’s government actually signifies a victory for the radical Left. I do not doubt that Romanos, with all his determination and honesty, is indeed emerging as a winner from this battle; and individually for him this victory meant a lifesaving success. But who, with the exception of Nikos himself, actually benefits from it? And how exactly did this sudden change in policy by the government as well as the attitude of certain right-wing political parties come about?

Nikos Romanos had made it quite clear in one of his first few statements, that the bourgeois political parties, the humanitarian NGOs, and commiserating politicians should stick their solidarity with him elsewhere. He trusted the solidarity from the streets (rightfully so, if one considers the solidarity marches numbering in the tens of thousands during the last few weeks) in addition to the solidarity issued by his comrades in prisons.

Be that as it may, it seems that these bourgeois political parties saved his life in the end. To be more precise, the populist leftist coalition surrounding Alexis Tsipras and his SYRIZA party. After the lack of any agreement regarding the request for a ankle bracelet in parliament yesterday, Tsipras asked the President of this Republic to put away all the political strife between the parties and save Nikos’ life by taking a stand for human life, in a phone conversation this very morning. Shortly thereafter, Karolos Papoulias called the prime minister Samaras and expressed his demand for a humanitarian solution as well as an agreement in parliament. Samaras’ minister of justice already drafted a new proposition, which was eventually passed today at noon, alongside the jubilation of the members of parliament. But what exactly changed since yesterday, and how come that yesterday’s quarrelling parliament suddenly passes prison leave for Romanos in unison? I am only able to speculate, but one thing was buried underneath all the celebrations of the solidarity movement, which counted this victory as a won battle of the radical Left against the Schweinesystem (pig-system): two days ago Samaras announced that the presidential elections, which were originally planned for 2015, would take place earlier, that is to say that a new president of the republic should be voted in prior to the 29th of December. In Greece the president is elected by the parliament, the same parliament which hasn’t reached any agreement for the last couple of years. Meeting the necessary majority vote during the (probably multiple) rounds of voting might be possible, but rather doubtful. In the case that the members of parliament are not able to elect a new president, this would lead to the next round of the Greeks’ favourite game: parliamentary elections! If it comes to this, some businessmen in Greece as well as economic policy-makers of the EU will shit themselves, while at the same time the populist new Left’s wet dream might become reality. For in the case of new parliamentary elections SYRIZA is expecting a good probability of winning them. Involuntarily, Romanos might be playing a role in all this. Because if SYRIZA claims the victory in the “battle for justice” of this charismatic anarchist for itself, many votes and support from the radical base might be secured. And although some assume that its engagement for a (not convicted, but designated as such by many) lefty terrorist might cause more damage to the party than gain votes, the image of a sympathetic young man who slid into the fantastic world of revolutionary actions due to the death of his friend and is actually trying to save the world from the corrupt exploiters and puppets of this system is currently prevailing in society. This image faces wide approval and a lot of understanding.

I think it remains to be seen, whether the judiciary actually grants the application for the ankle bracelet and how the general state of affairs will develop in this constantly radicalising country. We should be happy that Nikos lives. Above all we should also be grateful to the broad solidarity in the streets, which sustained him for so long. And we should be vigilant in regards to who is profiting from Nikos’ won battle. I also hope that Nikos Romanos remains as vigilant and incorruptible as he has been until now.

I will, without a doubt, drink my Raki in honour of Nikos today, with a bitter aftertaste in my mouth as this struggle is far from over.

Paella ala Bürokratie

Wenn ich in mein wiener Lieblingsrestaurant mit Gasthauscharme gehe, bestelle ich dort immer eine Paella mit Meeresfrüchten für zwei Personen. Die ist frisch zubereitet (gut, die Zutaten aus den Meeren dieser Welt kommen von Weißnichtwoher und sind ganz sicher tiefgefroren, bevor sie in das Reisgericht gemischt werden) und schmeckt hervorragend. Dazu den roten Hauswein. Das ganze wird serviert von sympathischen Kellnern (die, wie die Meeresfrüchte, aus allen möglichen Ecken dieser Welt stammen) in einem Kellerlokal im Raucherbereich. (Im Sommer auch im dazugehörigen Gastgarten, wo es egal ist, ob du nun Raucher bist oder nicht.)

Jetzt bange ich um meine Meeresfrüchtepaella für Zwei und weiß nicht genau, ob die nicht vielleicht sehr bald, mit dem Inkrafttreten der „EU-Lebensmittelinformationsverordnung“ gleich schmecken wird, wie eine von Iglo, Dr. Ötker, oder sonst einem dieser großindustriellen Fressnampfkonzernen.

Wer profitiert eigentlich von dieser Lebensmittelverordung, die allen Gastronomiebetrieben innerhalb der Europäischen Union in Zukunft vorschreibt, ihre Speisekarten mit Hinweisen auf Allergene zu kennzeichnen. Sind es tatsächlich jene, die von diversen Lebensmittelallergien heimgesucht werden, und sich, wie manche Allergikerlobbyisten behaupten, nicht trauen ein Wirtshaus aufzusuchen?

Ich glaube kaum. Denn dann hätten wir auch die Diabetikerlobby oder Veganerlobby schon längst auf dem Teppich stehen, die ähnliche Forderungen stellen würden.

Wer davon mal wieder profitiert, sind die großindustriellen Lebensmittelkonzerne. Diejenigen Fertiggerichthersteller, die eben diese Warnhinweise für Allergiker, Diabetiker und (zumindest in manchen Fällen) seit ein paar Jahren auch Veganer ohnehin schon auf den Verpackungen der Mikrowellennahrung stehen haben. Sie sind es, die von der Einschüchterung von gerade Kleingastronomen profitieren werden, die vielleicht in Zukunft lieber auf Copy-Paste setzen werden, als sich jedes mal genau überlegen zu müssen, welche Kennzeichnung sie nun in ihre Speisekarte setzen müssen. Die sich überlegen müssen, mit welchem Messer sie gerade welche Zutat zerschnipselt haben und auf welchem Schneidbrett gerade was gelegen ist.

Zugegeben, vermutlich wird diese Verordnung ohnehin nur in den nördlichen Teilen der Union tatsächlich in die Praxis umgesetzt und kontrolliert. Ich kann mir kaum vorstellen, dass ein Tavernenbesitzer hier in Griechenland bis jetzt auch nur gehört hat, von diesem bürokratischen Wahnsinn. Denn wenn, hätte es bestimmt schon den einen oder anderen Aufschrei dagegen gegeben. Den Aufschrei der Wirten in Österreich und anderen Ländern kann ich verstehen, aber es gibt eine einfache Lösung: Ungehorsam. Soll’n die Schergen Europas doch jedes Wirtshaus zusperren und ihr Essen in Zukunft selbst kochen. Mal schauen, was dann für eine Politik in Brüssel verunstaltet wird.

Hunger macht ja bekanntlich grantig.

Romanos – ein gewonnener Kampf?

Erst vor einigen Tagen (noch vor dem 6. Dezember) saß ich bereits leicht angetrunken in meiner Stammbar in Thessaloniki und diskutierte mit Freunden den Hungerstreik des 21-jährigen Anarchisten Nikos Romanos, der sein Recht auf Hafturlaub zu Bildungszwecken einforderte. Da war noch keine Rede von Fußfessel oder ähnlichem, wohl aber von der Möglichkeit, die Vorlesungen via Videostream zu verfolgen. Die meisten von uns standen in Solidarität mit Nikos Romanos, der wegen eines missglückten Bankraubes zu 16 Jahren hinter schwedischen Gardinen verurteilt wurde. Nikos Romanos war ein guter Freund des 2008 von einem Polizisten ermordeten 15-jährigen Alexis Grigoropoulos, war dabei als dieser erschossen wurde und ist als Sargträger auch auf Fotos der Beerdigung von Alexis zu erkennen.

Am 10. November dieses Jahres verkündete Nikos Romanos, dass er in den Hungerstreik treten werde, um seinem Antrag auf bildungsbedingten Hafturlaub ein wenig mehr Druck zu verleihen. Als dieser Antrag letzte Woche, am 2. Dezember, abgelehnt wurde, kam es zu Straßenschlachten in Athen und anderen Solidaritätsbekundungen in ganz Griechenland und Nikos verlautbarte, dass er „bis zum Sieg oder Tod“ weitermachen würde.

Wir diskutierten also Nikos Haltung und die Reaktionen des „Schweinesystems“, gaben jeder unseren Senf dazu und während wir genüsslich unseren Raki tranken, überlegte man, was wohl die Folgen wären, wenn Romanos sterben würde. Eine seltsam und etwas ekelhaft anmutende Situation, über die positiven und negativen Outcomes des Todes eines Menschen zu philosophieren, der als militanter Anarchist es irgendwie geschafft hatte, sogar Teile der alten bürgerlichen Garde auf seine Seite zu schlagen. Nun bin ich Nikos bestimmt näher, als es der bürgerliche Teil dieser Gesellschaft je sein wird und doch habe auch ich meine Probleme mit so manchen seiner Vorstellungen, was mich aber nicht davon abhält, ihm meine Solidarität auszudrücken. Ich finde seine Texte und Gedanken zum Thema Gefängniskritik sehr gut und unterstütze seine Forderung auf „freien“ Zugang zu Bildung für Gefangene. Und doch war ich von Anfang an skeptisch, was diesen Hungerstreik betrifft. Ich war ganz einfach der festen Überzeugung, dass sich der griechische Staat, wie beinah alle anderen westlichen Staaten auch, nicht durch einen Hungerstreikenden erpressen lassen würde. Ich war mir sicher, dass gerade der griechische Staat es lieber in Kauf nehmen würde, mit erneuten tagelangen Straßenschlachten konfrontiert zu sein, als vor einem militanten Anarchisten in die Knie zu gehen. Ich ging sogar soweit, in der geschlossenen Runde mit Freunden Romanos des Opportunismus zu bezichtigen, weil mich, trotz aller Lebensfreude die Romanos verbreitet, der leise Verdacht beschlich, dass er dem Märtyrerdarsein irgendwie was abgewinnen könne. Und mit Märtyrertum habe ich ganz grundsätzlich ein großes Problem.

Nun, ich wurde in allen Punkten eines Besseren belehrt.

Gestern, nachdem ich auf einer Solidaritätskundgebung für Nikos war, traf ich mich mit einem Freund in besagter Stammbar und natürlich war Romanos das überwiegende Gesprächsthema. Früher an diesem Tag wurde erstmals ernsthaft in Erwägung gezogen, dass Nikos eventuell das Gefängnis mit einer Fußfessel verlassen könnte, um an Vorlesungen an der Uni teil zu nehmen. Wir glaubten noch nicht ganz daran und waren uns auch nicht einig darüber, ob Romanos diesen Kompromiss akzeptieren würde.

Heute, am 31. Tag seines Hungerstreiks, und dem ersten seines Durststreiks, heute, am 10. Dezember 2014, ist der griechische Staat doch vor einem militanten Anarchisten in die Knie gegangen. Und heute hat auch Nikos mich überzeugt, dass er dem suizidal-heldenhaften Märtyrertum nicht soweit verfallen ist, dass er nicht mehr willig wäre, einen kleinen Kompromiss mit diesem Staat, den er so sehr hasst, einzugehen und sein eigenes Leben zu retten. Wäre er gestorben, hätte uns das auch nicht weitergebracht. Im Gegenteil, es wäre die Bestätigung für meine verdrossene, reaktionäre Annahme gewesen, der Staat sei unbezwing- und unbesiegbar. Es wäre, nach einem kurzen Aufflammen von endlichen Straßenkämpfen und Scharmützeln mit der Polizei wohl der Todesstoß für die romantisierte griechische Bewegung gewesen.

Und doch, wenn man die Hintergründe, wie es nun zu dieser politischen Entscheidung kam, Nikos die Fußfessel (nach einem erfolgreichen Semester Fernstudium) zu gewähren genauer betrachtet, taucht manch unangenehme Frage auf, die gestellt werden muss. Die erste und vermutlich offensichtlichste ist wohl jene, ob denn dieses Einlenken der Regierung Samaras tatsächlich ein Sieg für die radikale Linke bedeutet. Ich will nicht bezweifeln, dass Romanos mit seiner Entschlossenheit und Ehrlichkeit als Sieger aus diesem Kampf hervorgeht; und für ihn persönlich ist es ein lebensrettender Erfolg. Doch wer, abgesehen von Nikos selbst, profitiert denn nun eigentlich davon? Und wie kam es zu dieser plötzlichen Kursänderung der Regierung und auch der Haltung von manch rechter Partei?

Nikos Romanos hat in einem seiner ersten Statements relativ klar gemacht, dass die bürgerlichen Parteien, humanistische NGOs und bedauernde Politiker sich ihre Solidarität mit ihm sonst wo hinstecken können. Er glaubte an die Solidarität der Straße (zu Recht, wenn man bedenkt, dass in den letzten Wochen zehntausende Menschen für ihn durch die griechischen Städte marschierten) und der seiner Genossen in den Gefängnissen.

Nun war es aber doch eine dieser bürgerlichen Parteien, die ihm vermutlich das Leben gerettet hat. Genauer gesagt das populistische Links-Bündnis rund um Alexis Tsipras und seiner SYRIZA Partei. Nachdem noch gestern keine Einigung im Parlament auf den Antrag einer Fußfessel erzielt werden konnte, hat heute Morgen Tsipras in einem Telefonat mit dem Präsidenten der Republik diesen aufgefordert, Stellung für das menschliche Leben zu beziehen und verdammt nochmal Nikos Leben über die Grabenkämpfe der Parteien hinweg zu retten. Karolos Papoulias rief daraufhin Premierminister Samaras an und verlangte von diesem, eine menschliche Lösung zu finden und eine Einigung im Parlament zu erzielen. Samaras’ Justizminister hatte bereits einen neuen Vorschlag ausgearbeitet, der schlussendlich heute Mittag unter Applaus der Abgeordneten angenommen wurde. Aber was genau hat sich jetzt seit gestern geändert und warum stimmt das gestern noch zerstrittene Parlament plötzlich vereint für den Hafturlaub von Romanos? Ich kann nur spekulieren, doch ging in all dem Jubel innerhalb der Solidaritätsbewegung, die den Erfolg gleich mal als gewonnen Kampf der radikalen Linken gegen das „Schweinesystem“ verbucht, eines unter: Samaras hat vor zwei Tagen angekündigt, die eigentlich für 2015 geplanten Präsidentschaftswahlen vorzuziehen und noch bis zum 29.12. über den neuen Präsidenten der Republik abstimmen zu lassen. Der Präsident wird in Griechenland vom Parlament gewählt; einem Parlament das seit Jahren kaum mehr eine Einigung erzielen kann. Dass die Notwendige Mehrheit bei den (vermutlich mehreren) Abstimmungen erzielt werden kann, ist möglich, aber sehr fraglich. Im Falle, dass sich die Abgeordneten nicht auf einen neuen Präsidenten einigen können, bedeutet das die nächste Runde des Lieblingsspieles der Griechen: Parlamentswahlen! Sollte es soweit kommen, wird sich so mancher Großunternehmer Griechenlands und Wirtschaftspolitiker der EU mal gehörig ins Hemd machen, während umgekehrt der feuchte Traum der populistischen Neulinken Realität werden könnte. Denn bei Neuwahlen verspricht sich SYRIZA eine große Chance darauf, als Siegerin aus den Wahlen hervorzugehen. Dabei könnte unfreiwillig auch Romanos eine Rolle spielen. Denn schreibt sich SYRIZA diesen Erfolg im „Kampf für das Recht“ des charismatischen Anarchisten auf die eigenen Fahnen, kann sie sich so mancher Stimme und Unterstützung auch aus dem radikalen Lager sicher sein. Und obwohl manche vermuten, dass der Einsatz für einen (nicht verurteilten, aber von manchen doch als solchen bezeichneten) linken Terroristen der Partei mehr schaden könne, als ihr Stimmen bringen, überwiegt momentan in der Bevölkerung doch das Bild des sympathischen jungen Mannes, den die Erfahrung des Todes seines Freundes und das Aufwachsen mit der Krise in die fantastische Welt des Revoluzzertums abrutschen ließ und der ja eigentlich die Welt vor den korrupten Ausbeutern und Marionetten dieses Systems retten wollte. Ein Bild, das auf breite Zustimmung und viel Verständnis stößt.

Ich denke, es bleibt nun vorerst abzuwarten, ob denn auch die Justiz dem Antrag auf die Fußfessel tatsächlich stattgeben wird und wie sich die generelle Lage in diesem sich stetig radikalisierenden Land entwickelt. Wir sollten froh sein, dass Nikos lebt. Wir sollten vor allem auch der breiten Solidarität der Straße dankbar sein, die ihn solange durchhalten ließ. Und wir sollten wachsam sein, wer aus Nikos’ gewonnen Kampf nun Profit schlagen will. Ich hoffe, auch Nikos Romanos bleibt so wachsam und unkorrumpierbar, wie er es bis jetzt war.

Heute werde ich meinen Raki ohne Zweifel auf Nikos trinken, mit dem bitteren Beigeschmack, dass dieser Kampf noch lange nicht vorbei ist.

Kurzes Update zur Situation in Saloniki

Nach den massiven Kämpfen von Samstag war Sonntags etwas die Luft herausen. Trotzdem versammelten sich auch am Sonntag mehrere Tausend Menschen zu einer Demonstration in Solidarität mit den Gefangenen des 6. Dezembers und Nikos. Außerdem stand die Demo auch im Zeichen gegen die Verabschiedung des Haushaltsplanes des Parlaments, der wiedermal entgegen allen Versprechungen viele Kürzungen und Einsparungen vorsieht.

Die Besetzung des Gewerkschaftshauses geht weiter. Nach wie vor beteiligen sich viele motivierte Menschen an der Besetzung und es entstand dort ein Netzwerk, das über all den Grabenkämpfen untereinander der letzten Jahre steht und viele Gruppen miteinander in Verbindung bringt. Das Gewerkschaftshaus wurde mittlerweile sowohl symbolisch, als vor allem auch praktisch zum Hort des Widerstandes in der Stadt.

Gestern hat sich Nikos’ Vater mit dem Premierminister getroffen. Nach dem Treffen sagte Romanos senior, dass auch der PM keine Lösungsansätze parat gehabt hätte und sein Sohn wohl den Hungerstreik weiterführen werde. Nikos befindet sich mittlerweile in einem ernstzunehmenden, kritischen Zustand. Die Hoffnung, auf ein Einlenken des Staates und somit der Rettung von Nikos’ Leben, schwindet von Tag zu Tag.

Für morgen wird in Saloniki zu einer Motorraddemo in Solidarität mit Nikos aufgerufen.

Am Donnerstag wird zu einer generellen, Großdemonstration für Nikos mobilisiert. Da könnte es unter Umständen wieder zu Kämpfen kommen. Wir halten euch auf dem Laufenden.

Die Solidaritätsaktionen für Nikos, die in den letzten Tagen aus der ganzen Welt nach Griechenland getragen wurden, sind für Nikos eine große Unterstützung. Das hat er mehrmals betont. Aber auch für uns, die wir außerhalb der Gefängnisse und Isolation in Krankenhäusern kämpfen, ist diese breite Solidarität ein Antrieb, der uns weitermachen lässt. Für Nikos vor Allem, aber auch für uns und die revolutionäre Sache.

Wir freuen uns über weitere Aktionen.

Solidarität und Freiheit für Nikos Romanos!

Der Kampf geht weiter!