Der neue Weg SYRIZA’s

Seit der Ankündigung von vorgezogenen Präsidentschaftswahlen und spätestens seit dem Scheitern auch der dritten Wahlrunde des Präsidenten und den damit folgenden Neuwahlen, entfernt sich Alexis Tsipras immer weiter von ehemals radikalen Positionen. Damit nehmen auch die parteiinternen Streitereien zu. Die vor der letzten Wahl noch als unantastbare radikale Positionen geltenden Ideale werden nun zu Hauf über Bord geschmissen, was dem schrumpfenden radikalen Lager innerhalb des Bündnisses sauer aufstößt. Doch Tsipras lässt sich davon nicht beirren. Im Gegenteil. Nach mehreren ehemaligen PASOK-FunktionärInnen (zum Beispiel die ehemalige Vize-Innenministerin Theodora Tsakri) holt er mittlerweile auch noch wesentlich weiter rechts stehende PolitikerInnen in sein Boot. So lief Rachil Makri, eigentlich Kandidatin für die rechtskonservative, EU-kritische Partei der unabhängigen Griechen (eine Abspaltung der noch vor Kurzem regierenden Nea Demokratia) zu SYRIZA über.

Außerdem geht Tsipras mittlerweile auch auf Stimmenfang im klerikalen Lager. Nach Jahren des strikten, öffentlich ausgesprochentsiprasen Atheismus (in einem Land mit über 98 Prozent Gläubigen und in dem Säkularismus ein Fremdwort ist eine radikale Position) scheint der Führer des Linskbündnisses, aus wohl eher populistischen als persönlichen Gründen, plötzlich doch noch zu Gott zu finden. Nachdem er sich bereits vor mehreren Monaten mit Priestern und Mönchen in der autonomen Region Berg Arthos getroffen und verbrüdert hat, ließ er nun am 6. Jänner, dem Tag des Epiphanienfestes, als Zeichen seines aufkeimenden Spiritualismus eine weiße Taube gen Himmel steigen. SYRIZA rückt damit immer weiter in Richtung des bürgerlichen Lagers, weg von radikalen Positionen und Parolen gegen Sparmaßnahmen und Bevormundung durch Europa, hin zur gemäßigten Sozialdemokratie – der Platz dafür ist schließlich frei, seit dem die sozialdemokratische Partei PASOK kontinuierlich bei etwas mehr als vier Prozent herum schwimmt.

Die Strategie von Parteiführer Alexis Tsipras scheint klar: Weniger radikale Positionen, dafür mehr Stimmen aus dem bürgerlichen Lager. Denn eben das bürgerliche Lager wird die Wahl entscheiden.

Doch kommt dadurch erstmals eine weitere Komponente mit ins Spiel. Denn mit der Entradikalisierung von SYRIZA könnte die außerparlamentarische Linke genügend Stimmen ergattern, um Parlamentsabgeordnete zu stellen. Das radikale linke Bündnis ANTARSYA-MARS („Antikapitalistische Linke Zusammenarbeit für den Umsturz – Frontale Linke Kooperation“ oder auch „Aufstand – Marsch“) gewann zuletzt in den Umfragen an Stimmen und könnte damit für einige Furore und die Schwächung von SYRIZA sorgen.

Vermutlich wird die Strategie von SYRIZA aufgehen und sie werden als Sieger in dieser Wahl hervorgehen. Doch gleichzeitig wird damit nicht nur ein Rechtsruck innerhalb der Partei vollzogen, sondern auch die rechtsaußen Parteien gestärkt. Denn jene WählerInnen, die aus Protest gegen Nea Demokratia und Pasok ihre Stimme an SYRIZA abgeben wollten, könnten vom neuen Kurs der Partei enttäuscht sein und sich extremeren Positionen zuwenden. Und wenden sie sich nicht nach links, dann gibt es rechts genügend Auswahl. Und das könnte wiederum das Rennen zwischen den gleichauf liegenden Parteien Der Fluss (pro-europäisch) und der faschistischen Goldenen Morstatistikgenröte um Platz drei entscheiden.

Die Töne auf beiden Seiten werden jedenfalls von Tag zu Tag schärfer und nehmen teilweise skurrile Formen an. So hat ein Spitzenfunktionär der Partei der unabhängigen Griechen vor wenigen Tagen dazu aufgerufen, die Alten am Wahltag zu Hause ein zu sperren. Dies stellt nur eine von vielen Skurrilitäten dieser Parlamentswahl dar. Eine weitere ist auch, dass knapp 100.000 junge GriechInnen, auf Grund eines bürokratischen Demokratiedeffizites nicht zur Wahl zugelassen sind.

Am skurrilsten, und die Dialektik dieser Wahl offen legend, ist aber die Tatsache, dass für eine (noch nicht endgültig verurteilte) terroristische Vereinigung gewählt werden kann. Mehr als die Hälfte der Parteifunktionäre der  sitzen hinter Gittern, und doch wollen bis zu sieben Prozent der Griechen ihre Stimme den Neo-Nazis geben. Dies sollte Europa wirklich erschrecken.

Kann es einen Ausweg aus der politischen Krise in Griechenland geben?

Nachdem Premierminister Samaras mit seiner strategischen Härteprobe gescheitert ist, wird nun also am 25. Jänner das griechische Parlament neu gewählt. Anders als gedacht, schaffte Samaras es nicht, genügend Oppositionelle hinter seinem Präsidentschaftskandidaten zu vereinen und errang in keiner der drei Wahlrunden die benötigte Stimmenanzahl. Die vorgezogenen Präsidentschaftswahlen waren wohl der letzte Versuch, sich als regierende Partei gegen das immer stärker werdende Links-Bündnis SYRIZA zu behaupten und der populistischen Volksrhetorik von Parteiführer Alexis Tsipras zu trotzen. Glaubt man den zahlreichen Umfragen, die in den letzten Tagen wie Schwammerl aus dem Boden schießen, wird SYRIZA die Wahl gewinnen. Jedoch ist SYRIZAs Vorsprung bereits gesunken und der Abstand zur Regierungspartei Nea Demokratia beträgt nur mehr knapp drei bis vier Prozent – ein Prozentsatz, der in Griechenland schnell die Seiten wechseln kann. Und doch ist es genau umgekehrt, als bei den letzten Parlamentswahlen 2012, als Nea Demokratia eben diese drei bis vier Prozent vor SYRIZA lag und über die tatsächliche Wahlrunde halten konnte.

Aber was würde ein Sieg der populistischen Linken in Griechenland eigentlich genau bedeuten? Sicher nichts Gutes. Wenn man sich die Rhetorik von Tsipras und Co genauer anhört und einen Blick auf ihr Programm wirft, wird schnell klar, dass SYRIZA entweder einen skrupellosen Kurs zurück zum aufgeblasenen Beamtenapparat und korrupter Freunderlwirtschaft der letzten Jahrzehnte verfolgt, oder von Wirtschaftspolitik ganz einfach keine Ahnung, beziehungsweise eine verkappt-nationalistische Vorstellung hat. Bei einem Sieg von SYRIZA gibt es im Prinzip zwei Szenarien mit unterschiedlichen, darauf folgenden Entwicklungen, die möglich sind. Das realistischere von beiden ist, dass alles beim Alten bleiben wird, da SYRIZA ihre Wahlversprechen nicht halten werden kann und schlussendlich einem Kompromiss mit Memorandum?? und Kreditgebern zustimmen wird müssen. Dies würde vermutlich nicht nur zu erneuten baldigen Wahlen führen, sondern auch zu einem starken Rechtsruck innerhalb der emotionalen Wählerschaft. Die wütenden Griechen, die dieses Mal aus Protest gegen das Memorandum und die Sparpolitik und aus europafeindlichen Gedanken heraus für SYRIZA stimmen, könnten ebenso schnell zu Wählern der faschistischen Goldenen Morgenröte werden. Was bei weiteren (Neu-)Wahlen zu einer Katastrophe führen könnte.

Das zweite Szenario ist das weniger realistische, aber deshalb nicht weniger gefährliche. Schafft es Tsipras, auch nur Teile seines (Wirtschafts-)Programms tatsächlich in die Tat umzusetzen, könnte das der wirtschaftliche Todesstoß für Griechenland sein. Denn Tsipras fordert im Prinzip nichts anderes, als die Misswirtschaft der letzten Jahrzehnte fortzuführen, den aufgeblasenen Beamtenapparat zu reaktivieren, um Arbeitsplätze für Parteimitglieder oder strategische Freunde zu schaffen, alle Steuern für griechische Staatsbürger zu senken und gleichzeitig die Steuern für ausländische Investoren zu erhöhen, beziehungsweise mit konfiskatorischen Mitteln zu erzwingen – ein Konzept, das in Ungarn durch Viktor Orban gerade auf die Spitze getrieben wird. Diese linksreaktionäre, nationalistische Politik Tsipras’ findet gerade im starken Gewerkschaftsapparat Griechenlands seine Anhänger und die Versprechungen, zwei Milliarden Euro für die humanitäre Krise Griechenlands aufzubringen, klingt verlockend. Doch am Ende bleibt es nur bei dieser Symptombehandlung, während die Fehler, die maßgeblich zur Intensität der griechischen Krise beigetragen haben, nicht nur nicht erkannt, sondern wieder zum Parteiprogramm gemacht werden.

Schießt sich Griechenland selbst ins Aus, bleibt offen wie Europa darauf reagiert. Die offizielle Linie ist spätestens seit heute klar: Ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone scheint kein größeres Problem für die Europäische Union zu sein und eine Kettenreaktion in anderen Krisen-staaten wird nicht erwartet. Das sagt zumindest die deutsche Bundesregierung, die sich ja nicht erst seit heute als das Sprachrohr der europäischen Politik entpuppt hat. Doch was hinter den Kulissen verhandelt wird, bleibt im Verborgenen. Es ist vorstellbar, dass dort doch mehr Sorge herrscht, als öffentlich zugegeben wird, zumal Griechenland nicht nur Symbolcharakter für die wirtschaftliche und politische Krise Europas hat, sondern auch militärisch und strategisch von wichtiger Bedeutung für die Westallianzen ist. Griechenland hat eine der größten Außengrenzen der Festung Europa, auf Zypern wird nach wie vor ein de facto Stellvertreterkonflikt zwischen West und Ost ausgetragen und Griechenland ist ein wichtiger NATO-Stützpunkt, mit Militärausgaben die noch 2011 über vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmachten und Griechenland damit im Weltranking auf Platz 22, zwischen China und den USA, lag. Schafft es SYRIZA in den nächsten Jahren eine Linksregierung aufzubauen, die sich diesem westlich-europäischen Einfluss versucht zu entziehen oder gar offen entgegen zu stellen, scheint auch eine Organisierung der europatreuen Kräfte nicht ganz ausgeschlossen. Gerade in Anbetracht der Situation und Einflussnahme Europas in der Ukraine, muss dieser Möglichkeit Aufmerksamkeit geschenkt werden. Dabei darf auch nicht vergessen werden, dass Griechenland bis vor etwas mehr als 30 Jahren durch das Militär beherrscht wurde, das nach wie vor eine enorm große Rolle in der griechischen Bevölkerung und Politik spielt und bereits 2009 eine Reihe von Generälen wegen der Planung von Umsturzversuchen verhaftet wurden. Natürlich handelt es sich bei diesem Szenario um ein extremes, das zum Glück sehr unrealistisch scheint. Und doch, in Anbetracht der sich momentan immer weiter radikalisierenden und extremer werdenden Gesellschaft ist Wachsamkeit notwendiger denn je.

Es bleibt zu hoffen, dass die griechische Bevölkerung sich nicht von populistischen Wahlzuckerln und nicht einlösbaren Versprechungen einlullen lässt, sich nicht der Versuchung hingibt, einen “starken Führer” zu fordern, die korrupten Machenschaften der etablierten Parteien erkennt und sich dagegen stellt. Der einzige Weg aus der politischen Krise ist die Organisierung der Bevölkerung selbst – nicht durch einen Partei- und Beamtenapparat, sondern durch ein solidarisches Miteinander, den Auf- und Ausbau nachbarschaftlicher Strukturen, wie sie zum Beispiel im Athener Bezirk Exarchia bereits bestehen, und gerade in den Großstädten auf kleine, lokale Entscheidungsebenen zu setzen – das alles ohne Abschottung und Nationalismus und Phrasendrescherei.

Paella ala Bürokratie

Wenn ich in mein wiener Lieblingsrestaurant mit Gasthauscharme gehe, bestelle ich dort immer eine Paella mit Meeresfrüchten für zwei Personen. Die ist frisch zubereitet (gut, die Zutaten aus den Meeren dieser Welt kommen von Weißnichtwoher und sind ganz sicher tiefgefroren, bevor sie in das Reisgericht gemischt werden) und schmeckt hervorragend. Dazu den roten Hauswein. Das ganze wird serviert von sympathischen Kellnern (die, wie die Meeresfrüchte, aus allen möglichen Ecken dieser Welt stammen) in einem Kellerlokal im Raucherbereich. (Im Sommer auch im dazugehörigen Gastgarten, wo es egal ist, ob du nun Raucher bist oder nicht.)

Jetzt bange ich um meine Meeresfrüchtepaella für Zwei und weiß nicht genau, ob die nicht vielleicht sehr bald, mit dem Inkrafttreten der „EU-Lebensmittelinformationsverordnung“ gleich schmecken wird, wie eine von Iglo, Dr. Ötker, oder sonst einem dieser großindustriellen Fressnampfkonzernen.

Wer profitiert eigentlich von dieser Lebensmittelverordung, die allen Gastronomiebetrieben innerhalb der Europäischen Union in Zukunft vorschreibt, ihre Speisekarten mit Hinweisen auf Allergene zu kennzeichnen. Sind es tatsächlich jene, die von diversen Lebensmittelallergien heimgesucht werden, und sich, wie manche Allergikerlobbyisten behaupten, nicht trauen ein Wirtshaus aufzusuchen?

Ich glaube kaum. Denn dann hätten wir auch die Diabetikerlobby oder Veganerlobby schon längst auf dem Teppich stehen, die ähnliche Forderungen stellen würden.

Wer davon mal wieder profitiert, sind die großindustriellen Lebensmittelkonzerne. Diejenigen Fertiggerichthersteller, die eben diese Warnhinweise für Allergiker, Diabetiker und (zumindest in manchen Fällen) seit ein paar Jahren auch Veganer ohnehin schon auf den Verpackungen der Mikrowellennahrung stehen haben. Sie sind es, die von der Einschüchterung von gerade Kleingastronomen profitieren werden, die vielleicht in Zukunft lieber auf Copy-Paste setzen werden, als sich jedes mal genau überlegen zu müssen, welche Kennzeichnung sie nun in ihre Speisekarte setzen müssen. Die sich überlegen müssen, mit welchem Messer sie gerade welche Zutat zerschnipselt haben und auf welchem Schneidbrett gerade was gelegen ist.

Zugegeben, vermutlich wird diese Verordnung ohnehin nur in den nördlichen Teilen der Union tatsächlich in die Praxis umgesetzt und kontrolliert. Ich kann mir kaum vorstellen, dass ein Tavernenbesitzer hier in Griechenland bis jetzt auch nur gehört hat, von diesem bürokratischen Wahnsinn. Denn wenn, hätte es bestimmt schon den einen oder anderen Aufschrei dagegen gegeben. Den Aufschrei der Wirten in Österreich und anderen Ländern kann ich verstehen, aber es gibt eine einfache Lösung: Ungehorsam. Soll’n die Schergen Europas doch jedes Wirtshaus zusperren und ihr Essen in Zukunft selbst kochen. Mal schauen, was dann für eine Politik in Brüssel verunstaltet wird.

Hunger macht ja bekanntlich grantig.